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Spätlese: Geduld in der Flasche

Von Anne
Winzerin im Wallis.
Die Spätlese ist die Kunst des Wartens. Warten, bis die Trauben über die bloße Reife hinausgehen und an Konzentration, Duft und Tiefe gewinnen. Das Ergebnis: Weine, die den Gaumen streicheln, den Speichelfluss anregen und lange in Erinnerung bleiben. Aber warum verändert diese „Verspätung» alles? Begleiten Sie mich zwischen herbstlichen Nebeln und tief stehender Sonne auf den Terrassen am Rhône.
Was ist eine Spätlese ?
Von Spätlese spricht man, wenn die Trauben mehrere Wochen nach dem üblichen Termin gelesen werden. Die Trauben haben dann etwas Wasser verloren und an Zucker, Aromen und bisweilen einem feinen Honigton gewonnen. Manche Jahrgänge bleiben einfach nur saftig und schmackhaft, andere werden deutlich süß.
Zwei Wege führen zu dieser Konzentration. Der erste, natürliche: Die Beeren trocknen langsam am Stock – das ist das Passerillage (Rosinierung). Der zweite, seltenere und launischere: die Edelfäule (Botrytis), ein Pilz, der die Beerenhaut perforiert, Wasser entweichen lässt und Aromen von kandierter Aprikose, Safran und Bitterorange freilegt. Es geht nicht um „Süße um der Süße willen», sondern um intensiv ausdrucksvolle Frucht.
Warum sind diese Weine so besonders ?
Weil sie mit Dichte spielen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Der Zuckergehalt bringt Volumen und Samtigkeit. Und dahinter hält die Säure den Wein geradlinig, frisch, lebendig. Ohne sie würde er schwer wirken.
Das Klima zählt. Im Wallis begünstigen Terrassen mit Trockensteinmauern, der Föhn und trockene Herbsttage nach feuchten Morgen die Konzentration und, in manchen Jahren, den Botrytisbefall. Alles ist eine Frage von Geduld und Beobachtung. Man kostet die Beeren, prüft das Wetter, man geht auf leisen Sohlen vor.
In der Praxis: so geht man vor
Konkret liest man von Hand, in kleinen Kistchen, damit diese empfindlichen Beeren nicht gequetscht werden. Das Pressen ist langsam, behutsam. Die Gärung braucht Zeit: Die Hefen haben viel Zucker zu verarbeiten. Manchmal lässt man sie natürlich ausklingen, um eine harmonische Süße zu bewahren; manchmal geht sie weiter und der Wein wird trockener, aber füllig. Bei den Rebsorten begegnet man bei uns häufig Pinot Gris, Gewürztraminer, Marsanne (Ermitage), Petite Arvine oder Amigne. Jede hat ihre eigene Musik.
Am Tisch: servieren und kombinieren ohne falsche Note
Servieren Sie eine Spätlese kühl, aber nicht eiskalt: ungefähr auf der Frische eines Aperitif-Weißweins, damit sich die Aromen entfalten. Wählen Sie etwas enger zulaufende Gläser, um den Duft zu bündeln. Und für die Kombinationen denken Sie an:
- Blauschimmelkäse, die Süße und aromatische Kraft lieben.
- Foie gras, Terrinen, Geflügel mit Trockenfrüchten – ein reiches, aber gut lesbares Duo.
- Würzige Küche (nicht feuerheiß), bei der die Süße das Feuer zähmt.
- Fruchtkuchen, Walliser Aprikosen, kandierte Zitrusfrüchte – für ein strahlendes Finale.
Der Schlüssel ist das Gleichgewicht: Wenn sich Speise und Wein in ihrer Intensität entsprechen, entsteht Magie.
Fazit: Spätlese ist eine Wette – die Zeit die Trauben formen zu lassen, um einen charaktervollen, ausdrucksstarken und großzügigen Wein zu erhalten. Wenn Sie das nächste Mal „Vendange Tardive» oder „Grains Nobles» auf einem Etikett sehen, stellen Sie sich die kühlen Morgen, das Klicken der Schere und die Geduld der selektiven Lesegänge vor. Wählen Sie dann nach Ihrer Lust: kandierte Frucht und Süße für die Genussfreude oder die straffere Variante für den Tisch. In beiden Fällen: Nehmen Sie sich Zeit. Das ist schließlich das Geheimnis dieser Weine.
